Mittelalterliches Mieder gibt es nicht!

Es gibt so Bezeichnungen, bei denen ich mich immer wieder auf meine Finger setzen muss, um nicht zu kommentieren. Dazu gehören „Mittelalterliches Mieder / Corsage / Korsett“ – wobei es von links nach rechts gelesen immer schlimmer wird. Vor allem, wenn dann noch behauptet wird, es wäre wirklich historisch und nicht nur geprägt durch das, was man eben so in den ganzen Fantasy-Filmen sieht, die halt irgendwie ein „mittelalterliches Setting“ haben sollen. 

in Kurzfassung:

Historische mittelalterliche Mieder im europäischen Raum sind Quatsch!

Und die Kombination aus Mieder, Rock und Bluse als historisch mittelalterlich erst recht!

(Einschränkung weil „Mittelalter“ klassisch die Zeit zwischen Antike und Reformation im Bereich „christliches Abendland“ meint. Und außerhalb kenne ich mich nicht genug aus, habe aber sehr sicher noch nichts in der Art gesehen.) 

Mittelalterliche Mieder sind Quatsch

Was ist ein Mieder / Corsage / Korsett?

Definieren wir erstmal, was ein Mieder / Corsage / Korsett ist. Landläufig meint das ein enges Kleidungsstück, das mithilfe von mehr oder weniger Verstärkung und Schnürungen den vornehmlich weiblichen Oberkörper in eine vom Zeitgeist als ansprechend deklarierte Form bringt. 

Wichtig ist, dass dieses Kleidungsstück grob im Bereich der Taille endet, also kein Kleid ist. 

 

Der erste große Unterschied zwischen Mieder auf der einen und Korsett bzw. Corsage auf der anderen Seite:
Das Mieder wird sichtbar getragen als dekoratives Element über der Kleidung. Das Korsett gehört historisch unter die Kleidung und sorgt für einen glatten Untergrund.

 

Der Vorläufer des Korsetts war die Schnürbrust oder Schnürleib. Hier wird mit allerlei kreativen Möglichkeiten gearbeitet für die Verstärkung, von geleimten Stoff über Schnurverstärkung und Reed bis hin zu Walbarten. Schnürbrust und Schnürleib sorgen für eine glatte Form und bringen die Brust an die „richtige“ Stelle, können aber nicht schnüren. 

Korsetts arbeiten in der Regel mit Stahl und haben dann auch Metallösen. Mit Korsetts kann die Taille verkleinert werden. 

 

Mieder sind meistens nur leicht verstärkt, eben so dass der Stoff glatt bleibt. Sie werden dekorativ über der Kleidung getragen und schnüren eben nicht. 

 

Corsagen oder auch Korsagen sind eine moderne Form des Korsetts, oft mit ausgearbeitetem Bereich für die Brust und nur leichter Verstärkung. Sie sorgen dafür, dass das darüber getragene Kleidungsstück glatt liegt. 

 

Soweit so gut. Wo aber ist das Problem mit mittelalterlichem Mieder?

Schnürbrust Rokoko mit Trägern
Schnürbrust Rokoko mit Trägern
moderne Vollbrust-Korsett nach viktorianischem Vorbild
modernes Vollbrust-Korsett nach viktorianischem Vorbild
dekoratives Mieder mit Rückenschnürung
dekoratives Mieder mit Rückenschnürung

Mittelalter ist schwierig

Fangen wir erstmal mit der Problematik an, dass „Mittelalter“ gar kein einheitlicher Zeitraum ist. Gemeint ist allgemein der Zeitraum zwischen Altertum (= Antike) und Neuzeit, beginnend mit der Renaissance. 

 

Damit ist die Datierung aber sehr abhängig von der Region. So dauert die Antike in Italien und Kleinasien deutlich länger als nördlich der Alpen. In Skandinavien sind erstmal die Wikinger dran, bevor es da um 1050 ca. mit dem „nordischen Mittelalter“ losgeht. Da haben Deutschland und Frankreich schon so Pi mal Daumen 500 Jahre Mittelalter hinter sich. In Italien endet das Mittelalter dafür auch schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Da ist anderswo halt immer noch „Mittelalter“.

nebenbei bemerkt:

Der Begriff „Mittelalter“ wurde übrigens erstmalig von italienischen Humanisten im 14. Jahrhundert genutzt, um das eigene Zeitalter als Epoche der „Wiedergeburt“ gegenüber den Jahrhunderten davor abzugrenzen. Es wurde von einem „medium aevum“, also einem „mittleren Zeitalter“ gesprochen. Alternativ wurde die Zeit als „aetas obscura“ bezeichnet, also das „Dunkle Zeitalter“.  Daher auch heute noch das Vorurteil vom „dunklen Mittelalter“, in dem alles gute der Antike vergessen wurde.  

 

Für die Leute, die im „Mittelalter“ gelebt haben, war es das „aetas christiana“, also das „christliche Zeitalter“, das erst mit dem Jüngsten Gericht enden würde und allen anderen vorherigen Zeitaltern klar überlegen war. Und das mit Christi Geburt begonnen hatte. 

figurbetonte Mode im Mittelalter

In Deutschland können wir ganz grob mit 1000 Jahren Mittelalter rechnen. Da war viel Zeit für verschiedene Moden. Und spannenderweise gab es in dieser Zeit kein „Mieder“.

Lange Phasen des „Mittelalters“ haben gar keine Notwendigkeit für ein Mieder, da der weibliche (Ober-)Körper gefälligst verdeckt und verhüllt zu sein hat. Und zwar so, dass seine Form eben nicht hervorgehoben wird. Und erstaunlicherweise wird unter eher weiten Kleidungsstücken kein Mieder getragen. Um die Oberweite im Zaum zu halten, gibt es auch andere Optionen, wie z.B. Brustwickel oder Brustbinden. 

Dagegen gibt es auch Phasen – zunehmend gegen Ende der Zeit – in der weibliche Formen vorhanden sein dürfen. Aber auch in dieser Zeit fehlt etwas wichtiges: eine Trennung zwischen Oberteil und Rock bei Kleidungsstücken. Ohne die gibt es zwar durchaus eng anliegende Kleider aber eben kein Mieder. Nebenbei: ein wirklich ordentlich angepasstes Unterkleid mit entsprechender Schnürung kann erstaunlich viel an Ort und Stelle halten.


Nebenbei: Rock und Bluse für Mittelalter sind aufgrund dieser fehlenden Taillennaht genauso Quatsch. 

Woher kommen dann Mieder etc?

Die klassische Kombination aus Rock, Bluse und Mieder stammt tatsächlich aus dem Barock und Rokoko. Sie hat sich bis heute gerade im Bereich Trachtenmode gehalten. 

 

In der Renaissance kommt die Trennungsnaht zwischen Oberteil und Rockteil. Der Oberkörperbereich wird verstärkt, damit die Stoffe schön glatt liegen und bestimmte Formen erreicht werden können. Dazu gehört z.B. eine gerade Schnürkante bei dekorativen Schnürungen. 

Renaissancekleid dunkelrot und silber
Kleid der Renaissance in dunkelrot und silber mit verstärktem Bereich beim Unterkleid Foto: strange animals photo

Das heute als mittelalterlich bekannte Bild ist tatsächlich erst aus dem Barock bzw. in England von der Tudormode und Elisabethanischen Mode geprägt. Hier kommt die Kombination aus knielangem Unterkleid (=Bluse), Rock und sichtbar getragenem Mieder (=Schnürbrust) zustande. Damit sind wir aber im 16. Jahrhundert und definitiv nicht mehr im Mittelalter. 

Wohin passen "mittelalterliche Mieder"

Das bei diversen großen Händlern angebotene „mittelalterliche Mieder“ kannst du natürlich trotzdem tragen. Nur halt nicht auf einer Veranstaltung, die Wert auf historische Darstellung im Bereich Mittelalter legt. Und auch sonst ist es eher eine moderne Interpretation von historischen Dingen. 

 

Auf einem klassischen Mittelaltermarkt oder einem LARP ist es aber gut aufgehoben. Wenn du da gerne unterwegs bist, würde ich dir ein Mieder sogar als Teil deiner Gewandung empfehlen. Du kannst es nämlich immer wieder anders kombinieren. Manche lassen sich sogar wenden, damit hast du dann gleich zwei Mieder in deinem Kleiderschrank. 

Und natürlich kannst du es auch einfach zum Abends weggehen tragen. 

Verschiedene Mieder für eine Marktgewandung oder Larpgewandung

Du kannst bei mir natürlich auch ein Mieder bekommen. Ich fertige Mieder grundsätzlich direkt auf deine Maße an, es passt also auch wirklich. Gerade bei der Länge ist das sehr wichtig, sonst drückt es unschön in der Taille. 

Ich habe eine Variante mit Trägern, eine ohne und einen Miedergürtel im Shop. Du kannst mir aber auch gerne eine eigene Vorlage schicken. 

dekoratives Mieder mit Rückenschnürung
dekoratives Mieder mit Rückenschnürung
Trägermieder mit Frontschnürung
Trägermieder mit Frontschnürung angelehnt an Tudormode
Taillenmieder mit 2 Schnürungen
Taillenmieder mit 2 Schnürungen

2 Kommentare zu „Mittelalterliches Mieder gibt es nicht!“

  1. Oliver Gambert

    Erst einmal vielen Dank für die Aufklärung. Ich bin auf die Webseite gestoßen, da ich einer Freundin die wohl einfach gekauft hat, was Ihr gefällt, etwas Aufklärung verschaffen wollte und bei dem Mieder habe ich mir dann doch etwas schwer getan an gute Informationen zu kommen. Immer wieder bin ich auf die Renaissance Zeit gestoßen, die für Mieder, Corsagen und Korsetts genannt wurde, auch dass schon viel früher mit ähnlichen Methoden versucht wurde den Körper zu betonen habe ich ein paar mal gelesen.

    Auch schön zu lesen, das du am ende trotzdem gesagt hast, das man den Mieder tragen kann und er auf normalen Mittelaltermärkten nicht verkehrt ist. Ich finde mit der Authentizität und historischen Richtigkeit sollte man es nicht immer so 100% genau nehmen. Ich bin dafür, das man gewisse Grunddinge beachten sollte und wenn der Rest dann nicht so historisch korrekt oder authentisch ist, ist das ja auch kein Beinbruch, solange man Spaß an der Sache hat.

    Ich selber versuche nach Möglichkeit zu 60%-70% authentisch rüber zu kommen und der Rest ist dann für mich mein eigener gestaltungs Spielraum. Was z.B. Herkunftsort und Zeitliche Eingliederung betrifft nehme ich das ganze auch nicht so ganz genau, solange das nicht zu extrem auseinander liegt. Solange ich das den Leuten erklären kann was ich mir bei meiner Gewandung gedacht habe und mir dessen bewusst bin, das ein Teil nicht authentisch oder historisch korrekt ist, bin ich zufrieden mit mir.

  2. Sehr schön. Es muss ja nicht immer authentisch wie in einem Museumsdorf zugehen. Aber die Entwicklung der heutigen Schnitttechnik kann man sehr schön am Mittelalter sehen. Von der Breite der auf den Handwebstühlen ausgehenden und kein gewebtes Stück Stoff verschwundenen einfachen Kleidern mit Keilen hin zu rafinierteren Schnitten, die vermutlich durch das Einnähen, also Abnähnen in die Festkleider am Körper der Adligen führen.
    Und natürlich darf heute jeder tragen, was ihm gefällt. Sollte dann aber auch wissen, was er da anhat. 😄👍

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert